Verantwortung sagen, aber Zukunft verspielen
Ganze 80 Mal taucht das Wort „Klima“ im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD auf. Doch wer hofft, dass Konservative nun verstanden hätten, dass kommende Generationen einen lebenswerten Planeten brauchen, wird enttäuscht. Die BlackRot-Koalition wiederholt lediglich längst beschlossene Ziele wie Klimaneutralität 2045 oder 90 % weniger Emissionen bis 2040 – ohne klaren Pfad dahin.
Statt einer Investitionsoffensive kündigt sie sogar fossile Rückschritte an und will „Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland nutzen“. Klimaschädliche Subventionen abbauen? Fehlanzeige: Der Agrardiesel soll sogar wiedereingeführt und die Pendlerpauschale ausgebaut werden – die zudem vor allem Gutverdienenden zugutekommt. Auch sprachlich setzt die Koalition lieber auf Nebelkerzen als auf Klartext: Formulierungen wie „Sektorleitlinien flexibilisieren“ klingen nach technischer Modernisierung, meinen aber: Umweltstandards lassen sich künftig leichter aufweichen. Und Begriffe wie „klimaneutrale Moleküle“ ersetzen konkrete Klimamaßnahmen durch PR-Vokabular.
Zentraler Hebel der Klimapolitik der Koalition soll der Emissionshandel sein, dessen Ausweitung auf den Gebäudesektor ab 2027 laut FIW-Berechnungen für eine 70 m²-Wohnung mit Öl-Heizung fast 1000 Euro Mehrkosten pro Jahr verursachen könnte – ohne adäquaten sozialen Ausgleich. Denn das Klimageld taucht im gesamten Koalitionsvertrag kein einziges Mal auf.
Statt Verantwortung zu übernehmen, verlagert diese Koalition sie auf den Markt – und auf die Zukunft. Worte allein sind nicht genug, um das Klima zu schützen. Doch genau darauf verlässt sich diese Regierung. Zum Vergleich: Im Grünen Regierungsprogramm taucht „Klima“ über 200 Mal auf – und wichtiger noch: Dort folgen auf jedes Ziel auch konkrete, sozial gerechte Maßnahmen.
Regierung Merz – Von Fortschritt keine Spur
Mit dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wird ein Regierungsprojekt vorgelegt, das sich selbst als „Arbeitskoalition“ bezeichnet – doch der Arbeitsnachweis fehlt. Statt echter Antworten auf die sozialen, ökologischen und technologischen Herausforderungen unserer Zeit liefert diese Koalition vor allem eins: Bestandsverwahrung und Nostalgie. Der Vertrag ist geprägt von rückwärtsgewandten Versprechen, steht vollständig unter Finanzierungsvorbehalt, und einer politischen Agenda, die soziale Spaltung, Klimablockade und Lobbynähe zementiert. Dies wird auch deutlich, wenn wir uns anschauen, wie Friedrich Merz sein Personal für das Kabinett ausgewählt hat.
Klimapolitik mit Auspuff
In Zeiten von Klima- und geopolitischer Krise braucht es eine Regierung, die nicht nur das Pariser Klima-Abkommen kennt, sondern es auch ernst nimmt. Doch was Union und SPD vorlegen, ist ein energiepolitischer Rollback. Die bisherige Regierung hat einen Auszahlmechanismus eingeführt, doch nun findet sich kein Wort zum Klimageld. Dies und die Renaissance fossiler Subventionen sprechen eine deutliche Sprache: Klimapolitik ist in dieser Regierung Nebensache – oder bestenfalls PR. Ob Katharina Reiche, die künftige Ministerin für Wirtschaft und Energie, hier positiv überraschen wird, bleibt abzuwarten. Ihre früheren gesellschaftspolitischen Äußerungen, etwa, dass sie schon die eingetragene Lebenspartnerschaft seinerzeit als „Angriff auf Ehe und Familie“ bezeichnete, werfen große Fragen auf.
Klimaskeptisch gab sich in der Vergangenheit auch Dorothee Bär, die designierte Forschungsministerin. Wer den menschengemachten Klimawandel relativiert oder anzweifelt, schwächt die Innovationsfähigkeit unseres Landes und ignoriert wissenschaftliche Tatsachen. Wissenschaftlicher Konsens ist keine Frage des Bauchgefühls oder der Meinung. Es sind Tatsachen, an denen sich die Politik orientieren muss – gerade im Forschungsministerium.
Sozialpolitik ohne Bodenhaftung
Die soziale Schlagseite des Koalitionsvertrags ist unübersehbar. Steuerliche Entlastungen kommen vor allem Spitzenverdienenden zugute, während Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen mit vagen Versprechungen abgespeist werden. „Mitte stärken“ heißt in der Praxis: oben entlasten, unten vertrösten. Das zeigt sich zum Beispiel im Umgang mit Alleinerziehenden – hier gibt es große Worte der Entlastung, aber keine Antwort, die Alleinerziehende mit wenig Einkommen tatsächlich entlasten kann. Dass der Arbeitnehmerflügel der Union im Kabinett überhaupt nicht vertreten ist, unterstreicht die politische Prioritätensetzung: Sozialpolitische Fragen sollen möglichst leise behandelt oder gleich an Wirtschaftsvertreter ausgelagert werden.
Kultur ohne Vielfalt und mit Interessenkonflikten
Auch in der Kulturpolitik kündigt sich ein deutlicher Bruch an. Der designierte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer verkörpert eines sicher nicht: kulturelle Vielfalt. Ganz abgesehen von seinen oftmals provokanten rechtskonservativen Thesen während seiner publizistischen Tätigkeit: Dass ein Medienunternehmer selbst zum Staatsminister für Kultur und Medien wird und sein Verlag von seiner Frau während dieser Zeit einfach weitergeführt wird, hat schon mehr als ein Geschmäckle.
Digitalisierung – eine Frage des Warenkorbs?
Der von Merz vorgeschlagene Digitalminister Karsten Wildberger wechselt direkt aus dem Vorstand eines Elektronikhändlers in die Regierung. Eine dezidierte Erfahrung in digitalpolitischer Governance oder gar zivilgesellschaftliche Einbindung ist nur schwer zu erkennen. Digitalisierung darf aber nicht wie eine Produktpalette behandelt werden, wenn es darum geht, ein digitales Gemeinwohl zu gestalten. In einem Ministerium, das über digitale Infrastruktur, Datenschutz und Plattformregulierung entscheidet, braucht es mehr als das Gespür für den nächsten Router.
Innenministerium: Scheitern vorprogrammiert
Alexander Dobrindt soll als Innenminister werden. Schon einmal sollte er ein politisches Großprojekt angehen, nämlich die sogenannte „Ausländermaut“ – und scheiterte dabei mit seinem Nachfolger Andreas Scheuer krachend. Mit einem Schaden von hunderten Millionen Euro für die Steuerzahler*innen. Nun soll er für die Sicherheit im Inneren zuständig sein – und eine sogenannte „Migrationswende“ vollziehen. Die Rhetorik gerade seiner CSU in den letzten Jahren gegenüber Zuwander*innen, die Vorurteile statt gesellschaftlichen Zusammenhalt förderte, könnte ihm nun auf die Füße fallen. Denn wer Migration ausschließlich als Problem formulierte und umfassende Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen als einzige Lösung propagierte, wird an der Realität scheitern. Und ganz sicher nicht AfD-Wähler*innen ins demokratische Spektrum zurückholen, im Gegenteil. Das scheint Dobrindt nun klar zu werden – und spricht vorsorglich nur noch von „verstärkten Grenzkontrollen“. Aber selbst diese müssten erst durch mehr Polizei umgesetzt werden – die dann an den wirklichen Kriminalitäts-Hotspots im Landesinneren fehlt.
Dumpingpreise für Landwirt*innen?
Alois Rainer, den künftigen Landwirtschaftsminister, habe ich als Vorsitzenden des Finanzausschusses kennen- und schätzen gelernt. Selber Metzgermeister hat er sich schon einmal klar zu den Fleischpreisen geäußert. Und hier muss ich ihm deutlich widersprechen. Wenn er auf fallende Fleischpreise hofft, stellt er sich damit offen gegen eine faire Entlohnung landwirtschaftlicher Arbeit – was die wirtschaftliche Existenz vieler bäuerlicher Betriebe gefährden würde. Zugleich ignoriert er einen einstimmigen (!) Beschluss der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) unter Beteiligung auch des Bauernverbandes. Die ZKL hatte sich klar für eine Reduktion von Produktion und Konsum tierischer Produkte und eine Unterstützung der Landwirt*innen beim Stallumbau ausgesprochen. Dass selbst dieser Verband eine andere Haltung einnimmt als der künftige Agrarminister, spricht Bände. Ich hoffe sehr, dass er im Dialog mit den Verbänden seine Meinung noch einmal revidiert.
Fazit: Viele verpasste Chancen
Diese Regierung ist kein Zukunftsteam. Sie ist ein Sicherheitsversprechen für Besitzstandswahrer und ein Rückschritt für alle, die auf sozialen Fortschritt, konsequenten Klimaschutz und demokratische Erneuerung hoffen. Was Merz mit seinem BlackRot-Kabinett präsentiert, ist ein Kabinett der verpassten Chancen. BlackRot wird nun erst einmal regieren – und wir kontrollieren. Als Teil der konstruktiven Opposition werde ich mich beispielsweise sehr dafür einsetzen, dass soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz nicht für Steuergeschenke an Reiche geopfert werden.