Eine große Herausforderung – aber der falsche Vorschlag
Deutschland steht vor einem echten Kraftakt: In vielen Branchen fehlen heute schon Arbeitskräfte, und der demografische Wandel verschärft das Problem weiter: Jedes Jahr verschärft sich der Arbeitskräftemangel um rund 400.000 Erwerbstätige. Bei der Problemanalyse sind Union, SPD und wir uns einig. Natürlich brauchen wir hier Lösungen, die nicht nur auf dem Papier gut klingen, sondern die auch im echten Leben der Menschen ankommen und die verfassungsfest sind.
Doch der Vorschlag der Union zur Aktivrente trägt weder nachhaltig zur Lösung des Fachkräftemangels bei noch zu mehr Gerechtigkeit. Im Gegenteil: Er schafft neue Probleme, die ich in meiner Rede in der Plenardebatte am 14.11.2025 dargelegt habe.
Die Aktivrente löst das Fachkräfteproblem nicht
Die Bundesregierung selbst rechnet damit, dass die Aktivrente rund 168.000 Menschen aktivieren soll. Eine Feldstudie der Bertelsmann Stiftung kommt jedoch zu einem deutlich realistischeren Wert: nur etwa 30.000 Vollzeitäquivalente.
Die Aktivrente schließt voraussichtlich nicht einmal ein Zehntel der Lücke, die der demografische Wandel jedes Jahr reißt.
Damit bremst sie weder den Fachkräftemangel aus, noch sorgt sie für eine stabile Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme.
Ein Blick auf die Fakten: Warum der Effekt so gering wäre
Die Zahl potenzieller zusätzlicher Arbeitskräfte ist begrenzt. Einerseits, weil viele Menschen aus gesundheitlichen Gründen nicht länger arbeiten können, und andererseits, weil bereits heute rund 285.000 Personen von den flexiblen Hinzuverdienstregeln profitieren. Hinzu kommt, dass die Arbeitsaufnahme bei Menschen, die länger arbeiten wollen, oft nicht an der Besteuerung scheitert, sondern an schlechten Arbeitsbedingungen. Die Aktivrente setzt also am falschen Punkt an.
Eine Maßnahme mit ernsthaften verfassungsrechtlichen Risiken
Die Aktivrente behandelt gleiche Einkommen unterschiedlich – je nach Alter und Beschäftigungsform. Die Union will, dass Einkommen mit 67 oder 69 anders besteuert werden als Einkommen der 30- oder 60-Jährigen und dass Einkommen aus abhängiger Beschäftigung anders behandelt wird als Einkommen aus Selbstständigkeit.
Die nahezu willkürliche Ungleichbehandlung von Einkommen birgt erhebliche verfassungsrechtliche Risiken.
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags bestätigt in einem von mir beauftragtem Gutachten erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Schon jetzt haben viele Bürger*innen in Mails an mich angekündigt, gegen die Regelung zu klagen. Zu Recht – denn Steuern müssen fair und transparent sein, nicht willkürlich.
Die Kosten der Aktivrente
Die Bundesregierung selbst beziffert die Mindereinnahmen auf rund 890 Mio. Euro jährlich – allein auf Basis der heute bereits über 67-Jährigen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Diese Mindereinnahmen sind sicher – zusätzliche Beschäftigungseffekte bleiben dagegen ausdrücklich unprognostiziert. Die absehbar entstehenden zusätzlichen Vollzeitstellen sind zu wenige, um die Mindereinnahmen auszugleichen; dafür bräuchte es überschlagen mindestens rund 40.000 Vollzeitäquivalente.
Viele Menschen wissen gar nicht, welche Möglichkeiten sie schon heute haben
Nur jede*r Dritte weiß überhaupt, dass Rentner*innen heute unbegrenzt hinzuverdienen dürfen – ohne Abzüge. Das heißt, ein großer Teil der Menschen, die länger arbeiten wollen, könnte das jetzt schon tun – sie wissen es nur nicht. Bevor man ein neues kompliziertes Modell einführt, sollte man erst einmal über die bestehenden Rechte informieren.
Die bessere Lösung liegt längst auf dem Tisch
Noch in der letzten Legislaturperiode lag ein Vorschlag auf dem Tisch, der verfassungsfest, bürokratiearm, gerecht und sofort wirksam wäre:
Statt des Freibetrags kann mit dem Renteneintritt der Arbeitgeberbeitrag zur Rentenversicherung direkt an die Arbeitnehmer*innen ausgezahlt werden. Das schafft einen klaren, fairen Anreiz, ohne Sonderregelungen und ohne neue Ungerechtigkeiten.
Dass dieser Vorschlag wegen des Ampelbruchs nicht weiterverfolgt wurde, ändert nichts daran, dass er funktioniert hätte – und funktionieren würde. Warum nicht wenigstens die SPD den Vorschlag weiter verfolgt, ist völlig unverständlich.
Wer wirklich mehr Menschen in Arbeit will, muss an die großen Hemmnisse ran
Die Aktivrente schafft neue Ungleichheiten – löst aber keine der zentralen Hürden, die Menschen vom Arbeiten abhalten.
Dazu gehören:
- lange Wartezeiten bei Arbeitserlaubnissen für Geflüchtete
- Steuerklassen, die die*den Partner*in mit niedrigerem Einkommen – meist Frauen – benachteiligen
- fehlende Kinderbetreuung
- niedrig entlohnte Arbeit in körperlich belastenden Berufen
- mangelnde Weiterbildungschancen
Genau diese Punkte adressiert die grüne Wachstumsinitiative – und zwar mit echten Hebeln statt Symbolpolitik.
Gerechtigkeit geht anders: Ungleichheiten abbauen – nicht neue schaffen
Aktuell ist viel die Rede von Gerechtigkeitslücken im Steuersystem. Und ja, sie existieren:
- Sonderregeln für extrem hohe Erbschaften
- ungleiche Besteuerung von Arbeit und Kapital
- noch ungeklärte Cum-Cum-Betrugsfälle
Wir Grüne bringen diese Themen zurück ins Bewusstsein – weil sie echte Auswirkungen auf soziale Gerechtigkeit haben. Die Aktivrente hingegen schafft eine zusätzliche Ungerechtigkeit, ohne die alten zu lösen.
Deutschland braucht Lösungen, die wirklich helfen
Die Aktivrente ist weder eine Antwort auf den Fachkräftemangel noch ein Beitrag zu mehr Fairness. Sie ist verfassungsrechtlich fragwürdig, sie schafft neue Ungerechtigkeiten und sie löst das Problem nicht – dafür kostet sie viel Geld. Was wir brauchen, sind Lösungen, die Menschen wirklich erreichen, die unser Land voranbringen und die nicht auf politischer Symbolik beruhen.