75 %
So groß ist der Anteil der deutschen Milliardär*innen, die ihr Vermögen geerbt haben.
Das ist ein weltweiter Spitzenwert – und ein starkes Indiz dafür, wie sehr leistungsloses Einkommen die Vermögenskonzentration und Chancenungleichheit in Deutschland prägt.
Leistungsloses Einkommen als Problem für die Demokratie
Leistungsloses Einkommen gehört zu den größten Gerechtigkeitsproblemen unserer Zeit. Während Menschen mit Arbeitseinkommen jeden Monat Steuern und Abgaben für das Gemeinwohl zahlen, profitieren große Vermögen oft davon, dass sie fast gar nicht besteuert werden. Die Folge: Einkommen aus Besitz wird privilegiert behandelt gegenüber Einkommen aus Arbeit – das widerspricht dem Leistungsprinzip, das unsere Gesellschaft eigentlich trägt.
Darüber haben wir in unserem Fachgespräch gesprochen mit Julia Jirmann, Referentin beim Netzwerk Steuergerechtigkeit, Prof. Dr. Fabian Pfeffer, Inhaber des Lehrstuhls „Soziale Ungleichheit und Soziale Strukturen“ an der LMU München und Lukas Scholle, Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins „Surplus“ sowie einem Grußwort von Prof. Dr. Gabriel Zucman, Direktor der EU-Steuerbeobachtungsstelle. Einige zentrale Erkenntnisse davon fasse ich in meinem Newsletter zusammen.
Arbeiten ist teurer als Besitzen
Steuerforscher Gabriel Zucman machte deutlich, wie groß die Schieflage inzwischen ist: Hyperreiche zahlen in vielen Ländern systematisch weniger Steuern als andere Bevölkerungsgruppen. Nicht etwa wegen Steuerhinterziehung, sondern durch ein Steuersystem mit verschiedenen Steuerprivilegien, die es ermöglichen, Vermögen so zu strukturieren, dass kaum steuerpflichtiges Einkommen entsteht.
Beispiele aus den USA zeigen, wohin das führen kann: Selbst Milliardäre wie Jeff Bezos oder Elon Musk zahlten in manchen Jahren nahezu keine Einkommensteuer, weil ihre Vermögen zwar wachsen, aber kaum „Einkommen“ im steuerlichen Sinn erzeugen. Genau dieses Muster beobachten wir auch bei sehr hohen Vermögen in Europa.
Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit erklärte, dass Milliardär*innen in Deutschland nur etwa 25–30 % Steuern zahlen – also weit unter dem Höchststeuersatz von 45 %. Einzelne Immobilienmilliardäre kommen sogar nur auf 15–17 %.
Die Ursache: Unternehmens- und Kapitalerträge werden im Gegensatz zu Arbeitseinkommen steuerlich besonders begünstigt.
Vermögensungleichheit gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt
Der Soziologe Fabian Pfeffer ordnete ein, wie stark die Vermögenskonzentration in Deutschland inzwischen ist. Sein Fazit: Deutschland liegt bei der Vermögensungleichheit international mit an der Spitze – und kaum hinter den USA. Gleichzeitig zeigt seine Forschung, dass extreme Vermögenskonzentration immer auch extreme Machtkonzentration bedeutet.
Das gefährdet Demokratien auf zwei Ebenen. Wer Milliardenvermögen hält, kann politischen Einfluss, Medienmacht oder wirtschaftliche Entscheidungen in einem Ausmaß kontrollieren, das demokratische Prozesse aus dem Gleichgewicht bringt. (Man beachte etwa das rechte Portal Nius, das sich nur wegen Unterstützung in Millionenhöhe von Frank Gotthard über Wasser halten kann.) Und wenn die Mehrheit erlebt, dass die Reichsten anders besteuert werden als alle anderen, sinkt das Vertrauen in die Demokratie. Menschen fragen sich, ob sich Leistung überhaupt noch lohnt. Auch soziale Beteiligung – etwa Ehrenamt – fällt in ungleicheren Regionen sichtbar niedriger aus.
Die Konsequenz: Steuerpolitik ist eben nicht nur Verwaltung, sondern Demokratiesicherung.
Erbschaften: Wo leistungsloses Einkommen am sichtbarsten wird
Kaum ein Bereich macht das Problem so deutlich wie die Erbschaftsteuer:
300–400 Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland vererbt. Doch die Steuer darauf bringt lediglich rund 10 Milliarden Euro ein – ein Prozent des Steueraufkommens. Der Grund: Sehr große Unternehmensvermögen sind weitgehend ausgenommen.
Damit profitieren gerade die größten Vermögen doppelt: erst durch geringe Steuersätze zu Lebzeiten, dann durch fast steuerfreie Übertragungen an die nächste Generation. So entsteht eine Erbengesellschaft, in der Chancen nicht vom eigenen Einsatz abhängen, sondern von Geburt und Glück.
Ökonom Lukas Scholle hat es im Fachgespräch klar benannt: Die jüngste Körperschaftssteuersenkung der Bundesregierung war die größte Steuersenkung für die Reichsten der letzten 20 Jahre. Sie entlastet vor allem große Vermögen und Unternehmensgewinne. Für Menschen, die ihren Lebensunterhalt erarbeiten, bleibt die Belastung dagegen unverändert hoch.
Genau hier zeigt sich, warum Reformen nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit sind, sondern der Notwendigkeit: Wenn der Staat ausgerechnet die Steuern senkt, die auf große Vermögen wirken, verschärft er die Ungleichheit weiter. Während Arbeit jeden Monat zuverlässig zur Finanzierung des Gemeinwesens beiträgt, bleiben zentrale Vermögensarten weiterhin privilegiert.
Leistung muss sich wieder lohnen
Für mich heißt das: Wir müssen diese Ungerechtigkeiten offen ansprechen und zeigen, dass es Alternativen gibt. Steuerpolitik ist kein technisches Detail – sie ist ein Werkzeug, das darüber entscheidet, ob Menschen das Gefühl haben, dass Lasten fair verteilt und Chancen gerecht eröffnet werden. Genau deshalb haben wir Grüne in den letzten Monaten Anträge vorgelegt, die Vermögensprivilegien abbauen, die Erbschaftsteuer gerechter gestalten und die Entlastung von Arbeitseinkommen in den Mittelpunkt rücken. Und genau deshalb halten wir die Auseinandersetzung darüber im Parlament wach.
Wir stehen vor großen Aufgaben – Energiewende, sozialer Zusammenhalt, Bildung, Infrastruktur. Diese Aufgaben schaffen wir nur, wenn alle fair beitragen. Das heißt: Arbeit darf nicht höher besteuert werden als Besitz. Sehr große Vermögen brauchen keine Ausnahmen, sie müssen endlich auch ihren Teil zum Gemeinwohl beitragen.
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